Lebenslauf

Wir sind ein Mehrgenerationenhaus mit Oma, Ulrich und Karen die Eltern und unsere drei Kinder Johanna (*93), Anton (*94) und Paulina (*98) .....es geht um unseren Anton bei dem jetzt erst nach 19 Jahren der genetische Schaden diagnostiziert wurde. Anton kam 3 Wochen zu früh auf die Welt, die Geburt war unauffällig, aber man hatte zunächst den Verdacht auf Hydrozephalus. Er war sehr schwach, hatte eine marmorierte Haut und hat überhaupt nicht geweint. Noch am gleichen Tag wurde er auf die Intensivstation verlegt und hatte dort in der Nacht einen Herzstillstand. Die Ärzte waren ratlos und haben zunächst auf einen Infekt behandelt. Da man nicht wusste woher sein Zustand kam, gab man ihm auch keine großen Überlebenschancen und wir führten am dritten Tag eine Nottaufe durch. Insgesamt war Anton 3 Monate in der Klinik und man entließ uns ohne Diagnose aber mit einer leichten Krampfneigung, die mit Luminal eingestellt wurde (nur wenige Monate). Relativ schnell war uns klar, dass sich Anton nicht normal entwickeln würde. Er legte den Kopf immer auf die linke Seite und entwickelte somit eine schiefen Kopf. Zum Essen musste ich ihn die ersten Jahre immer wecken, was sich sehr schwer gestaltete, da er auch eine ösophagealen Reflux entwickelt hatte. Schon mit drei Monaten haben wir begonnen mit der Sehfrühförderung zu arbeiten, bis jetzt haben wir noch einen sehr guten Kontakt. Diese Frau hat mich in meiner Verarbeitungsphase sehr gut unterstützt und manchmal mehr mit mir gearbeitet als mit Anton. 
In den ersten Jahren hatten wir dann diese Diagnosen: Sehbehinderung, Reflux, Entwicklungsverzögerung, einen großen Kopf, der hinten abgeflacht war, schwieriges Essenszufuhr und eine vermehrte Infektneigung, er hasste die Bauchlage, konnte sich nicht drehen oder gar sitzen. Humangenetisch hatten wir auch alles abklären lassen, doch damals war es nicht möglich zu testen ohne Anhaltspunkte und man konnte uns keinem Syndrom zuordnen.
Anton besuchte mit 3 Jahren einen integrativen Kindergarten und wurde mit 5 in eine Blindenschule mit Internat eingeschult. Diese Schule hat er 9 Jahre besucht. In dieser Zeit hat er gelernt zu sitzen, mit Hilfe zu laufen, gezielt zu greifen, selbständig zu essen und zu trinken (pürrierte Kost).
Ungefähr mit 8 Jahren haben wir im Zuge der Abklärung der vielen Infekte eine Klinik für Diagnostik aufgesucht. Dort hat man uns in einem Nebensatz erklärt, wir wüssten ja wohl, dass Anton eine Hirnfehlbildung hätte. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte uns niemand darüber aufgeklärt. Die Fehlbildung nennt sich Temporallappenhypoplasie. Also ein Teil des rechten Seitenlappens ist nicht richtig angelegt. Man sagte uns, dass irgendeine Störung das Wachstum in der frühen Schwangerschaft wohl gestört hätte.
Anton ist schon immer sehr klein gewesen und sehr leicht. Momentan sind wir bei 1,40m und 35 kg.
In der Kinderphase hatte Anton hauptsächlich mit Infekten der Ohren zu tun, er wurde zweimal am Hodenhochstand operiert und der Reflux hat das ganze Essverhalten sehr negativ beeinflusst.
Eins der größten Probleme für mich ist seine fehlende Kontaktaufnahme. Schon als Baby hat er mich nie angesehen oder angelächelt. Er hat sogar eine Technik entwickelt gezielt an mir vorbei zu sehen. Außerdem hat er von Anfang an eine ausgeprägte Wahrnehmungsstörung, konnte es noch nie ertragen, dass man ihn an den Händen oder Füßen berührt oder gar mit ihm schmusen will. Trotzdem hat er sich als ein sehr fröhliches Kind entwickelt, der einfach in seiner eigenen Welt lebt und dort sehr zufrieden ist. Allerdings zeigt Anton auch schon immer autoagressive Handlungen, er beißt sich in seine rechte Hand und hat dort auch schon eine starke Hornhaut gebildet. Mittlerweile hat Anton einige Gebärden gelernt und setzt diese auch manchmal richtig ein, sprachlich hat sich dagegen überhaupt nichts gebildet, nicht einmal Doppel-Laute.
Im Alter von 13 Jahre hat sich eine Skoliose entwickelt und Anton ist zunehmend aus dem Lot gefallen. In dieser Zeit hat mir das Internet und ein Forum sehr geholfen und wir haben uns entschlossen Anton operieren zu lassen. 2009 wurde Anton über eine sehr große Strecke am Rücken versteift und er lebt heute sehr sehr gut damit.
2012 kam dann noch die Schilddrüsenunterfunktion hinzu, diese bekommt man ja mit Medikamenten relativ einfach in den Griff.
2009 haben wir uns mit dem Schuldirektor überworfen und Anton aus der Schule genommen. Er hat dann für ein Jahr in einem Wohnheim in Weinheim gelebt. Diese Zeit wird für uns unvergesslich sein, denn das war der blanke Horror. In dieser Zeit ist der Gedanke an einer alternativen Wohnform gewachsen und wir arbeiten jetzt daran eine Wohngemeinschaft für Menschen mit hohem Hilfebedarf zu installieren. Momentan lebt er zu Hause und besucht über Tag eine Tagesförderstätte. Wir bekommen Unterstützung durch einen Pflegedienst, der Anton jeden Morgen duscht und anzieht und durch einen persönlichen Assistenten, der zusätzlich 7 Stunden die Woche zur Verfügung steht.
Anton ist ein junger Mann, der immer wieder in einer überstreckten Haltung im Bett liegt und stereotype Bewegungen macht (auch im Rollstuhl), er macht am liebsten den ganzen Tag Krach, Spielsachen müssen blinken und möglichst viel Krach machen. Er wird im Stehen gewickelt, was den Umgang sehr stark erleichtert. Im letzten Jahr hat er noch einige Lebensmittelallergien entwickelt, die noch zu seinen Allergien gegen Milben und Gräser hinzu kommen.

 

2019:

Unser Leben hat sich grunglegend verändert. Die Eltern haben sich im Guten getrennt. Anton hat ein paar Monate in einer 3er WG des Internationalen Bundes gelebt, bevor er in sein neues zu Hause in Nidderau einziehen konnte. Seit 2016 lebt er in einer kleinen stationären Einrichtung des Internationalen Bundes. Mit 11 Mitbewohnern hat er dort sein zu Hause gefunden. Er hat sich zu einem jungen stattlichen Mann gemausert und macht trotz seiner Einschränkungen immer weitere Fortschritte. Die Betreuer haben das große Ziel, dass Anton irgendwann frei laufen kann und für dieses Ziel üben sie jeden Tag ganz fleißig.

Hier kann man mehr über Antons neues zu Hause lesen:

 

https://www.internationaler-bund.de/standort/211189/
  

Das Leben mit Anton hat uns sehr geprägt und unser Leben sehr stark positiv beeinflusst. Es hat uns stark gemacht und uns gelehrt welche Dinge wirklich wichtig sind im Leben. Wir lieben unseren Sohn über alles, auch wenn er uns seine Liebe nicht zeigen kann, denn wenn er sein bezauberndes Lachen auflegt sieht man die Welt nur noch in Sonnenschein.

Mein Leben in Bildern